State of AI 2025: Wie 100 Billionen Token die wahre Nutzung von KI enthüllen

Das vergangene Jahr markierte einen Wendepunkt in der Geschichte der künstlichen Intelligenz. Wir haben uns von der reinen Experimentierphase wegbewegt, hin zu einer tiefgreifenden Integration in produktive Arbeitsabläufe. Doch während die Fähigkeiten der Modelle stetig wachsen, hinkte unser Verständnis darüber, wie diese Werkzeuge tatsächlich im Alltag eingesetzt werden, oft hinterher. Eine neue, umfassende Analyse basierend auf über 100 Billionen verarbeiteten Token auf der OpenRouter-Plattform liefert nun erstmals belastbare Daten statt bloßer Hypothesen.

Die Ergebnisse zeichnen das Bild eines Ökosystems im Wandel: Der Aufstieg „agentischer“ Systeme, die Dominanz des Programmierens als Anwendungsfall und der überraschende Siegeszug von Open-Source-Modellen prägen das Jahr 2025.

Vom Chatbot zum Agenten: Die Ära der „Agentic Inference“

Die wohl fundamentalste Veränderung in der KI-Nutzung ist der Übergang von der einfachen Textvervollständigung hin zu komplexen Denkprozessen. Während wir KI früher baten, einen Text zu schreiben, lassen wir sie heute Probleme lösen. Mit der Veröffentlichung von Modellen wie o1, die auf logisches Schlussfolgern („Reasoning“) spezialisiert sind, hat sich das Nutzungsverhalten radikal verändert.

Daten zeigen, dass sogenannte „Reasoning-Modelle“ mittlerweile über 50 Prozent des gesamten Token-Volumens ausmachen. Nutzer verlangen nicht mehr nur nach einer schnellen Antwort, sondern nach Modellen, die planen, Werkzeuge nutzen und iterative Gedankenschritte durchlaufen können.

Dies spiegelt sich auch in der Länge der Interaktionen wider. Die durchschnittliche Länge der Eingabeaufforderungen (Prompts) hat sich auf Ca. 6000 Token vervierfacht, was darauf hindeutet, dass Nutzer den Modellen umfangreichen Kontext, wie ganze Codebasen oder Dokumente, zur Analyse übergeben. Wir erleben den Aufstieg der „Agentic Inference“: KI wird nicht mehr nur als Chatbot, sondern als aktiver Agent in komplexen Workflows eingesetzt.

Das Duopol bröckelt: Open Source vs. Closed Source

Lange Zeit dominierten proprietäre Modelle von Anbietern wie OpenAI oder Anthropic den Markt fast vollständig. Doch 2025 zeigt sich ein differenzierteres Bild. Open-Source-Modelle (OSS), also Modelle mit öffentlich zugänglichen Gewichten, haben massiv aufgeholt und machen nun etwa ein Drittel der gesamten Nutzung aus.

Besonders bemerkenswert ist der Aufstieg chinesischer Open-Source-Modelle wie DeepSeek und Qwen. Starteten diese Ende 2024 noch bei einem Marktanteil von fast null, verarbeiten sie mittlerweile fast 30 Prozent des gesamten Volumens.

Der Markt hat sich dabei ausdifferenziert: Während geschlossene Modelle (Closed Source) weiterhin die erste Wahl für hochkomplexe, unternehmenskritische Aufgaben bleiben, dominieren Open-Source-Modelle in Bereichen, in denen Kosten und Anpassungsfähigkeit zählen. Interessanterweise hat sich die Modellgröße „Medium“ (15 bis 70 Milliarden Parameter) als neuer Sweetspot etabliert, da sie eine ideale Balance zwischen Leistung und Effizienz bietet.

Wofür nutzen wir KI wirklich? Programmieren und Rollenspiele

Ein Blick auf die konkreten Anwendungsfälle entlarvt einige Mythen. Entgegen der Annahme, KI würde vor allem für das Schreiben von E-Mails oder Marketingtexten genutzt, sind es zwei völlig unterschiedliche Kategorien, die das Volumen treiben: Programmieren und kreative Rollenspiele.

Programmieren ist zur dominanten professionellen Anwendung geworden. Der Anteil von Coding-Tasks am Gesamtvolumen stieg von etwa 11 Prozent auf rund 50 Prozent an. Entwickler nutzen KI zunehmend als integralen Bestandteil ihrer Arbeit, sei es zur Code-Generierung, Fehlersuche oder für komplexe Architekturfragen. Hierbei führen Modelle von Anthropic (Claude) den Markt deutlich an, auch wenn die Konkurrenz wächst.

Auf der anderen Seite steht das Segment der „Roleplay“-Anwendungen, das vor allem im Open-Source-Bereich gigantisch ist. Mehr als die Hälfte der Nutzung von Open-Source-Modellen entfällt auf kreative Rollenspiele und interaktives Storytelling. Dies zeigt, dass KI nicht nur ein Produktivitätswerkzeug ist, sondern auch ein neues Medium für Unterhaltung und emotionale Interaktion darstellt.

Der „Aschenputtel-Effekt“: Warum Nutzer treu bleiben

Ein faszinierendes Phänomen, das die Studie aufdeckt, ist der sogenannte „Cinderella Glass Slipper“-Effekt (Aschenputtel-Effekt). Die Analyse der Nutzerbindung zeigt, dass frühe Nutzerkohorten oft eine extrem hohe Loyalität zu einem bestimmten Modell aufweisen.

Dies geschieht, wenn ein neu veröffentlichtes Modell erstmals ein spezifisches, bisher ungelöstes Problem eines Nutzers perfekt löst, wie der gläserne Schuh, der Aschenputtel passt. Sobald dieser „Product-Market-Fit“ erreicht ist, bleiben diese Nutzer dem Modell treu, selbst wenn später technisch überlegene Modelle auf den Markt kommen. Dies unterstreicht, wie wichtig es für Entwickler ist, echte Problemlösungen frühzeitig anzubieten, um eine dauerhafte Nutzerbasis aufzubauen.

Fazit: Eine fragmentierte, aber reife Zukunft

Die Daten aus 2025 machen eines deutlich: Es gibt nicht „das eine“ KI-Modell, das alles beherrscht. Wir bewegen uns in ein Multi-Modell-Ökosystem, in dem Nutzer pragmatisch entscheiden. Für komplexe Logik und Coding wird teure, proprietäre Intelligenz eingekauft (z.B. Claude Sonnet oder GPT-4). Für massenhafte Anwendungen, Rollenspiele oder kostensensitive Aufgaben greift man auf effiziente Open-Source-Modelle (z.B. DeepSeek oder Llama) zurück.

Die KI-Nutzung ist globaler, technischer und vielseitiger geworden. Asien holt als Akteur massiv auf, und die Grenzen zwischen menschlicher und maschineller Arbeit verschwimmen durch den Einsatz von Agenten immer weiter. Für Unternehmen und Entwickler bedeutet dies: Flexibilität ist der Schlüssel. Wer sich auf einen einzigen Anbieter verlässt, verpasst die Effizienzgewinne, die dieses diverse Ökosystem bietet.

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